Künstliche und "natürliche"Aromen
Geschmackstäuschung durch Aromen
Eine "Hühnersuppe mit Nudeln", aus dem Hause Knorr beispielsweise, enthält knapp zwei Gramm "Trockenhuhn" in Form von winzig kleinen Kügelchen. Daraus kann natürlich kein Koch der Welt Hühnergeschmack in vier Teller Suppe zaubern. Knorr kann das - durch Zugabe von einem Gramm Aroma.
Ein Hauptziel von Lebensmittelchemikern ist heute, niedere Ausgangsprodukte durch Aroma und Geschmacksverstärker nutzbringend aufzuwerten: Schlachtabfälle, Blut, Federn und Borsten sollten nach dem Willen des Erfinders als Grundstoff für die Gewinnung von Proteinen und Fetten dienen. Dem US-Konzern General Foods ist es dabei schon gelungen, einen Kunstspeck aus Wasser, Fett und Protein herzustellen. Und die amerikanische Firma Athlon erhielt ein Patent für die trickreiche Verwandlung von Vogelfedern in einen Zusatz für Konfekt und Backwaren. Schon in der DDR hatte man ein Verfahren entwickelt, um aus Schlachtblutplasma einen Kunstkaviar herzustellen. Aus Schweinefleisch hat man schon Muscheln hergestellt und aus Schimmelpilzen gewann man einen Fleischersatz namens „Quorn“, den englische Schulkinder in Tests für Putengeschnetzeltes hielten.
Aromen als Mastmittel
Auch Vanillin-Aroma wird seit etlichen Jahren dem Futter zur Schweineaufzucht beigegeben. Durch die beigemischten Aromen und die dadurch größere gefressene Futtermenge, nehmen die Ferkel im Schnitt circa 10 Prozent mehr an Gewicht zu, als die "normal" gefütterten Ferkel. Offensichtlich mögen Ferkel den Geschmack von Vanille und Erdbeere. Die Firma Danisco machte mit diesen Futterzusatzaromen 1995 einen Umsatz von 3 Milliarden Euro! Kein Schwein der Welt muss also auf sein aromatisches Soja-Fischmehl-Früstück verzichten.
Bell Flavor & Fragrances hat fürs Pferd zum Beispiel die Geschmacksrichtung „Heu & Kraut“ im Angebot, für Schweine sogar „Trüffel“. Die Katze kriegt ganz ohne Jagt und Mühe, ein Aroma Marke „Maus“, und für Hühner haben Chemiker eine Komposition vom Typ „Regenwurm“ zusammengestellt.
Aromen im Futter können auch den anrüchigen Geschmack von billigsten Futterrationen effektiv maskieren. Und noch ein Vorteil: Die armen Tiere aus der Quählzucht müssen bekanntlich regelmäßig Medikamente fressen, um gegen die vielen krankheitserreger im Maststall gewappnet zu sein. Auch die Tiere wollen die bitteren Pillen natürlich eigentlich nicht fressen, doch durch Aroma kann man sie ihnen leicht unterjubeln.
Da braucht es also Parfüm fürs Fischfutter, weil dieses zum Himmel stinkt. Die Fische sind, ebenso wie die Tiere im Massenstall krankheitsbedroht. Selbst im Pazifik, vor der chilenischen Küste werden Lachse deshalb, wie die FAZ im Dez. 1996 berichtete, mit einem Cocktail von Antibiotika behandelt: Amoxicillin, Sulfamerazin, Nifurpirinol, Erythromycin, Chlortetracylin. Nur so kann der Lachs vor Parasiten und Gebrechen geschützt werden. Vor einigen Jahren ergaben Untersuchungen an einigen Süßwasserfischen einen unerklärlich hohen Gehalt an Moschusduft. Der Grund: Das Fischfutter ist parfümiert.
Auch die Katzenfuttermarken Wiskas, Sheba oder Frieskies benutzen Aroma. Herrchen kann das allerdings nur auf dem amerikanischen Etikett lesen – auf dem deutschen muss dazu keine Angabe gemacht werden. Studien hatten ergeben, dass Katzen beispielsweise von aromatisierten Futter circa 17 Prozent mehr aßen als vom nichtaromatisierten. Kein Wunder, dass es in den USA schon Fitnessstudios für Hunde gibt.
Geheimhaltung der Zutaten
Strenge Vorgaben erschienen als nicht umsetzbar. Der rasante Fortschritt in der Lebensmitteltechnik wäre völlig undenkbar gewesen, wenn jeder Stoff, der ins Essen gemischt wird, vorher umständlichen Prüfungsverfahren unterzogen werden müsste. Vor allem auf dem Feld des Geschmacks, dem Kernbereich der modernen Imitatnahrung, wären Heerscharen von Wissenschaftlern aus der Wirtschaft und aus den Behörden damit beschäftigt, tausende von Substanzen jahrelang an unschuldige Ratten zu verfüttern, um dann auch nur zu wissen, wie Ratten darauf reagieren. Mit Menschen ist es bekanntlich dann immer noch ein ander Ding. Und wenn die industriellen Molkereien jahrelang keinen Bananenquark verkaufen können, nur weil der Kunst-Stoff für den Fruchtgeschmack fehlt, wenn die Food-Fabrikanten wieder umständlich Erdbeeren anpflanzen müssten, echte Früchte ernten, waschen, putzen, schneiden, dann wäre die Branche ja auf Jahre lahmgelegt.
Im übrigen gab es ja auch keine Veranlassung, irgendwelche Gesundheitsschäden zu befürchten, es war nichts dergleichen überliefert. (Und nur Übelwollende könnten einwenden, dass vorher auch noch niemand die synthetischen Substanzen verspeist hat.) Doch ist beispielsweise der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuß der Europäischen Union schon seit einigen Jahren „der Ansicht, dass eine Bewertung der Unbedenklichkeit der Aromen durchgeführt werden sollte, und dass zu diesem Zweck ein Verzeichnis der verwendeten Aromen sowie Informationen über ihre Verwendung erforderlich sind.“ Auch forderte die EU-Kommission schon Ende 1993, die gebräuchlichen Aromastoffe müssten „ständig überwacht“ werden.
Bei vielen Substanzen sieht sich das Aroma-Komitee des Europarates außerstande, ein Urteil zur Giftigkeit abzugeben: die Industrie behandelt natürlich auch ihre Tests und Analysen mit der branchentypischen Diskretion. Peter Baum, Referent im Straßburger Aroma-Komitee, beklagt eine „gewisse Geheimniskrämerei“ hinsichtlich der Aroma-Daten. Er vermutet deshalb, dass die Wissenschaftler in den Labors mit ihren Innovationen den Laien in den Parlamenten und Behörden längst voraus sind: „Da werden Stoffe vermarktet, von denen der Gesetzgeber keine Ahnung hat.“ So sei „die Gefahr groß, dass die eine Substanz verwenden, die bedenklich ist.“ Eine Kontrolle der Aromen auf Giftigkeit ist extrem schwierig, da man nach jedem möglichen Stoff einzeln suchen müsste und diesen Aufwand leisten sich keine Behörden.
Sofern es das rechtmäßige Betriebsgeheimnis des Herstellers betrifft, hat der Verbraucher also keine Möglichkeit zu erfahren, was er im einzelnen zu sich nimmt. Dies bestätigte Dr. Karl Evers, Chemiker aus dem Bundesgesundheitsministerium 1995 gegenüber der SZ.
Die Quelle der Gesetze - ein Lobbyistengremium
Die Richtlinien und Vorschriften, was die Kennzeichnung von Lebensmitteln, die Giftrückstände, Grenzwerte für Arzneimittelrückstände und Zusatzstoffe betrifft, beschließt die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen. Die Vorschriften, die hier entstehen, sind ungleich bedeutender als alles, was die Nationalstaaten in Sachen Lebensmittel beschließen, denn die Regeln gelten in 151 Ländern. In der Öffentlichkeit ist das nicht so bekannt. Denn Fernsehkameras sind kaum präsent, wenn diese Abteilung der UN neue Vorschriften erlässt oder die Delegierten zu einem ihrer Treffen irgendwo auf der Welt zusammenkommen. Eigentlich sind in diesem Gremium nur die staatlichen Vertreter der Mitgliedsländer stimmberechtigt. Doch sie können natürlich sachkundigen Rat einholen und sachkundige Teilnehmer zu den Sitzungen mitnehmen. Und weil Sachkundige bei Coca Cola, Nestle oder Hoffmann-La-Roche reichlich versammelt sind, versammeln sie sich auch regelmäßig bei den Treffen. Häufig haben sie in der Delegation sogar die Mehrheit. In Zeiten des freien Welthandels kann ohnehin kein Land mehr Einfuhren verhindern etwa mit dem Argument, ein Orangensaft oder eine Dose Ananas sei nach nationalen Bestimmungen übermäßig mit Gift belastet oder ein Etikett sei irreführend.